40 wichtige Fragen zu BTV-3
Zur aktuellen Entwicklung der Blauzungenkrankheit fanden am 31. Juli und am 1. August 2024 zwei Online-Veranstaltungen statt. Der erste Info-Abend wurde veranstaltet vom Netzwerk Fokus Tierwohl in Hessen und dem Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, der zweite Abend vom Netzwerk Fokus Tierwohl NRW und der Landwirtschaftskammer NRW.
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Bei der hessischen Veranstaltung informierten Prof. Dr. Tobias Eisenberg vom Landesbetrieb Hessisches Landeslabor in Gießen und Dr. Henrik Wagner, Fachtierarzt für kleine Wiederkäuer bei der Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde der Justus-Liebig-Universität in Gießen, über die Grundlagen des BT-Virus, die welt- und europaweite Verbreitung sowie über die Bekämpfung nach dem Tiergesundheitsrecht der EU. Bei der NRW-Veranstaltung wurden ebendiese Themen durch Prof. Jürgen Halizius vom Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW, Dr, Holger Thoms-Richterich, Tierarzt und Schafzüchter, und von Dr. Cordula Koch vom Tiergesundheitsdienst NRW behandelt.
Geänderte Bekämpfungsstrategie
Im Gegensatz zur BTV-8-Situation vor 15 Jahren sieht die Bekämpfungsstrategie heute anders aus: War früher die unmittelbare Tilgung vorgeschrieben, ist die Bekämpfung heute optional! Es besteht zwar Anzeigepflicht, aber es gibt keine Tötungsanordnung mehr. Seit 2010 besteht auch keine Impfpflicht mehr gegen die Blauzungenkrankheit. Allerdings sehen die Experten die Impfung als bestmögliche Reaktion auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Das Ziel, den „BTV-Frei“-Status wieder zu erreichen, sei nur mit einer hohen Impfabdeckung von über 80?% zu erreichen, betonen sie.
BTV-Symptome
Die Blauzungenkrankheit des Serotyps 3 (BTV-3) werde begleitet von schweren Krankheitsverläufen bei Schafen mit einer erheblichen Todesrate. Überlebende Tiere seien mehrere Monate krank, und es werden massive Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit erwartet. Die Tierärzte gingen auf die Krankheitssymptome der Blauzungenkrankheit ein, bei denen die Schafe und Ziegen von schwersten Verläufen bis hin zu keinen Symptomen alles zeigen:
- Hohes Fieber oft über mehrere Tage.
- Anschwellen von Kopf und Nasenbereich, der Zunge und des Rachenbereiches. Dadurch erschwertes Abschlucken des Futters (schlechte Futteraufnahme, Freßunlust). Die Wasseraufnahme ist kaum oder schwer möglich. Speichel kann nicht mehr abgeschluckt werden.
- Verfärbungen am Kopf.
- Zeichen von Schmerzhaftigkeit, Schmerzäußerungen.
- Schleimig-eitriger Nasenausfluss mit Krustenbildung.
- Schleimhautablösungen im Maulbereich.
- Apathie (Abgeschlagenheit).
- Atemnot.
- Pansenatonie (Erliegen der Pansenmotorik).
- Lahmheit (zum Teil Veränderungen am Kronsaum).
- Rückgang der Milchleistung (bei milchliefernden Tieren).
- Entzündungen des Hodens (temporäre Unfruchtbarkeit der Böcke durch das hohe Fieber möglich) usw.
Auffallend bei den Schafen seien die teilweise plötzlich auftretenden tödlichen Verläufe.
Symptombezogene Behandlung
Leider sei zum jetzigen Zeitpunkt keine direkte, sondern nur eine symptombezogene Behandlung der Krankheit möglich. Dazu zählen folgende Maßnahmen:
- Verabreichung von entzündungshemmenden und fiebersenkenden Medikamenten (in Absprache mit dem Hoftierarzt).
- Verabreichung von Selen, Vitamin B und E.
- Futter- und Wasserversorgung sicherstellen.
- Verabreichung eines Pansenstimulans (Pansenstabilisierung).
- Vermeidung von Sekundärinfektionen bei schwerwiegenden Schleimhautläsionen.
- Vermeidung von Stress (Transport, Impfung usw.).
Impfung wird empfohlen
Als direkten Schutz gegen das Virus empfehlen alle Referenten die Impfung, wenngleich es auch durch die Impfung keinen hundertprozentigen Schutz gegen die Blauzungenkrankheit gebe. Dennoch schütze sie die gesamte Population unter anderem durch die Verringerung der Infektionsrate, mildere Symptome und eine langsamere Verbreitung der Krankheit. Auch wenn der Impfstoff und die Impfung teuer seien, so seien die Verluste letztlich noch teurer. Letztlich liege die Entscheidung für oder gegen die Impfung bei jedem Einzelnen, aber wer sich noch an das BTV-8-Geschehen erinnere, werde sich wahrscheinlich eher für die Impfung entscheiden.
Als indirekter Schutz sei die Gnitzenabwehr wichtig, appellierten die Experten. Es gibt für Schafe und Rinder (nicht für Ziegen!) zugelassene Repellentien, die als Pour-on-Verfahren alle vier bis sechs Wochen angewendet werden sollten. Der „Königsweg“ liege derzeit in der Impfung, kombiniert mit dem Einsatz von Deltamethrin-haltigen Repellentien. Eine Auflistung der zugelassenen Mittel finden Sie im Schäfereikalender 2024 auf Seite 92.
Viele offene Fragen
Im Rahmen dieser wichtigen und interessanten Informationsveranstaltungen gab es eine Vielzahl von Fragen der Teilnehmer, die von den Tierärzten beantwortet wurden. Allerdings können viele Fragen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beantwortet werden, da Erfahrungen fehlen.
Fragen und Antworten zur Impfung
- Wird die Blauzungen-Impfung zum jährlichen Standard? Ja, davon ist vorerst auszugehen.
- Was hat es mit der Empfehlung einer zweiten Impfung bei Schafen auf sich? Macht es Sinn und oder birgt es ein gesundheitliches Risiko? Die Impfung wird gut vertragen, aber zum jetzigen Zeitpunkt müssen weitere Informationen abgewartet werden.
- Sind Impfreaktionen mit klinischen Symptomen bekannt? Nur sehr wenig.
- Ist es sinnvoll, genesene Tiere zu impfen? Ja, dadurch gibt es den sogenannten „Booster“-Effekt, aber zur Impfung sollen die Tiere negativ getestet sein.
- Kann/sollte man impfen, während BTV-3 schon in der Herde aktiv ist? Diese Entscheidung muss in Absprache mit dem Hoftierarzt getroffen werden. Für die Impfung sollten die Tiere eine gute Konstitution haben. Bereits infizierte und kranke Tiere dürfen nicht geimpft werden. Es gibt keine Erfahrungen, ob der Verlauf bei bereits erkrankten Tieren, die noch keine Symptome zeigen, durch eine Impfung verstärkt wird.
- Macht eine Impfung bei hohen Temperaturen Sinn? Oder ist es für die Tiere zu stressig? Auf jeden Fall impfen, denn Hauptsache ist, dass die Tiere geimpft werden.
- Wie trage ich die Impfung in die HIT ein? Macht das der Schäfer oder der Tierarzt? Das wird in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. In Hessen trägt es der Tierhalter ein. In NRW muss es der Tierarzt eintragen, für den Tierhalter ist die Funktion in NRW nicht freigeschaltet.
- Wie lange dauert es nach der Impfung, bis die Tiere ausreichend Antikörper gebildet haben? Vier bis fünf Wochen.
- Können Lämmer ab vier Wochen geimpft werden? Ja, alle drei Impfstoffe können dann verimpft werden.
- Macht es Sinn Schlachtlämmer zu impfen? Ja, wenn der Schlachttermin erst in einigen Wochen/Monate ist.
- Gibt es eine Wartezeit? Nein.
- Besteht für die Lämmer ein gewisser Schutz durch die Impfung der Mutter (maternale Antikörper), oder sollten sie ebenfalls geimpft werden? Ja, die Lämmer sind über die Mutter geschützt, sollten aber nach vier Wochen geimpft werden.
- Ab wann kann nach der Genesung geimpft werden? Im Moment gibt es kaum Erfahrungen mit den Impfstoffen, aber man geht von vier Wochen Abstand aus.
- Wie lange hält der Impfschutz? Zum derzeitigen Zeitpunkt lässt sich dazu nichts sagen.
- Wir haben in diesem Jahr im Juni gegen BTV-3 geimpft. Sollen wir uns darauf einstellen, dass wir nächstes Jahr zur selben Zeit wieder impfen oder bereits im Frühjahr 2025? In Abhängigkeit davon, welcher Impfstoff im nächsten Jahr zugelassen sein wird, sollte man vor der „Welle“ impfen, also lieber etwas früher.
- Kann man noch impfen, wenn man schon Ausbrüche im Bestand hat? Ja, aber man muss die Impffähigkeit der Tiere beachten.
- Sollten auch die Tiere in noch nicht betroffenen Bundesländern geimpft werden? Ja, jedes Tier.
- Soll man erkrankte Tiere später noch impfen? Ja, sobald sie genesen sind.
- Kann der Tierhalter die Impfung durchführen oder muss das der Tierarzt machen? Nur der Tierarzt.
Fragen und Antworten zu BTV-3
- Sind Ziegen genauso betroffen wie Schafe? Nein. Man hört wenig, sie sind möglichweise weniger anfällig. Die BTV-3-Impfung ist für Ziegen nicht zugelassen, das bedeutet, dass eine sogenannte „Umwidmung“ erfolgen muss.
- Macht es Sinn, frisch geimpfte Tiere von erkrankten Tieren zu trennen? Grundsätzlich ist es immer sinnvoll, kranke von gesunden Tieren zu trennen. Bei der Blauzungenkrankheit müsste es nicht unbedingt sein, da die Krankheit nicht von Tier zu Tier übertragen wird. Wenn man den Platz hat, sollte man die Tiere trennen, aber für große Herden ist das wahrscheinlich schlecht möglich.
- Sollte man erkrankte Tiere aufstallen und behandeln oder lieber – damit sie weniger Stress haben – auf der Weide lassen und dort behandeln? Diese Entscheidung ist abhängig vom klinischen Status der Tiere: Sehr kranke Tiere sollten aufgestallt werden, Tiere mit leichten Symptomen können draußen bleiben.
- Wie lange dauert es, bis ein stark erkranktes Tier wieder genesen ist? Ab dem siebten Tag geht es wieder bergauf.
- Kann ein erkranktes Tier vollständig genesen? Ja
- Sind die Zellzerstörungen regenerativ? Ja, die Abheilung kann jedoch länger dauern.
- Wo machen sich die Nekrosen beim Schaf klinisch am ehesten bemerkbar? Vor allem an den Schleimhäuten im Maulbereich.
- Zeigen die Schafe in den meisten Fällen mehrere Symptome? Ja.
- Kann auch nur Lahmheit schon ein Verdachtsfall sein? Ja, es treten Lahmheiten in verschiedenen Varianten auf.
- Wie hoch ist die Sterberate bei Schafen? In Deutschland kann man dazu zum jetzigen Zeitpunkt noch keine gesicherte Aussage treffen. In den Niederlanden lag die BTV-3-Todesrate im vergangenen Herbst bei 30 bis 50 % der erkrankten Tiere.
- Sind bestimmte Schafrassen anfälliger für die Blauzungenerkrankung? Nein.
- Bei welcher Körpertemperatur spricht man bei Schafen von Fieber? Ab 39,8°C haben Schafe eine erhöhte Temperatur, ab über 40°C spricht man von Fieber.
- Haben betroffene Tiere Probleme mit dem Gleichgewicht? Nein, aber sie zeigen einen staksigen Gang, weil sie aufgrund der Schmerzen alle Gliedmaßen entlasten.
- Ist eine BTV-3-Übertragung durch Spermien möglich ist? Wahrscheinlich ist es möglich. Es wurde bei BTV 8 beschrieben.
- Sollte man bei den Mutterschafen nach der Erkrankung eine Wartefrist bis zur Bedeckung abwarten? Wenn die Mutterschafe wieder gesund sind, können sie auch gedeckt werden. Aber die Böcke können das Problem sein, wenn sie hohes Fieber hatten, denn ab 41°C Fieber sterben die Spermien ab. Sie sind dadurch nicht unfruchtbar, aber der Aufbau neuer Spermien (Spermatogenese) dauert beim Schaf 49 Tage. Danach können die Böcke wieder normal decken.
Fragen und Antworten zur Prophylaxe und Therapie
- Wie werden Pour-on-Mittel aufgetragen? Eine sogenannte „Linie“ in die gescheitelte Wolle ziehen und Menge laut Herstellerangabe auftragen.
- Gibt es Erfahrungen/ Empfehlungen zur natürlichen Abwehr der Gnitzen? Man sollte Feuchtgebiete meiden. Manche Schafhalter füttern knoblauchhaltiges Futter oder stallen ihre Tiere auf. Ob diese Maßnahmen etwas bringen, kann man schlecht sagen. Im Grunde ist man den Gnitzen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert.
- Ist eine Wurmbehandlung sinnvoll, um die Vitalität der Schafe zu stärken? Wichtig ist ein sinnvolle (!) Entwurmung.
- Darf man in diesen Zeiten nach Kotprobe entwurmen falls nötig, oder belastet das Wurmmittel die Schafe? Bei positivem Befund der Kotprobe in jedem Fall entwurmen.
- Welche Vitamine sollte man verabreichen? Erkrankte Tiere sollten Selen und Vitamin-B-Komplex als Injektion vom Tierarzt bekommen (Einfluss auf die Pansenbakterien).
- Welches Mittel wird zur Bekämpfung von Gnitzen bei Lämmern empfohlen? Alle Deltamethrin-haltigen Mittel gegen Außenparasiten (siehe Schäfereikalender).
- Wie lange wirken Deltamethrin-haltige Repellentien, und wie häufig dürfen sie angewendet werden? Laut Zulassung der Hersteller wirken sie etwa vier Wochen, und die meisten dürfen alle vier Wochen erneut aufgetragen werden.
- Gibt es Ideen wie man die Gnitzen draußen bekämpfen kann? Bisher gibt es keine Lösung.
- Ist es empfehlenswert, an Blauzunge erkrankte Schafe mit Antibiotika und Schmerzmitteln zu behandeln? Ja, wegen der Sekundärinfektionen. Information dazu aus NRW heißt: Schmerzmittel sind auf jeden Fall nötig, da die Tiere Schmerzen haben und eine gute Abdeckung mit Schmerzmitteln essentiell ist. Antibiotika werden bei uns auch als vorbeugende Maßnahme gegeben, aber z.T. auch nur, wenn es wirklich nötig ist.
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