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Interview mit Dr. Till Backhaus

Der politische Druck in der Wolfsfrage ist groß

Vom 21. bis 23. April 2021 findet die nächste Umweltministerkonferenz (UMK) statt, deren Gastgeberland in diesem Jahr Mecklenburg-Vorpommern ist. Wir haben den amtierenden UMK-Vorsitzenden, Dr. Till Backhaus, gebeten, zum Thema Wolf Stellung zu nehmen.
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Die Umweltministerkonferenz hat sich in der Vergangenheit wiederholt mit dem Thema Wolf und den Problemen für die Schafhalter befasst. Woran liegt es, dass man den Eindruck hat, dass daraus nur wenige Fortschritte aus Sicht der Tierhalter hervorgegangen sind?

Dr. Till Backhaus: Das Thema Wolf findet sich in zahlreichen Bereichen von Naturschutz und Landwirtschaft wieder. Bei den Umweltminister- wie auch bei den Agrarministerkonferenzen wurden bereits zahlreiche Beschlüsse gefasst und frühzeitig Maßnahmen angeschoben, welche maßgeblich zum optimierten Umgang mit diesem Thema beigetragen haben. Es zeigt sich aber auch, dass in manchen Bereichen die Populationsentwicklung und damit verbunden auch die Zunahme von Konflikten in einem Tempo vonstatten geht, angesichts dessen wir auch nachsteuern müssen. Andere Regionen Deutschlands sind von der Thematik Wolf bislang weniger betroffen, und insgesamt ist das Schutzgut Wolf international wie auch national von besonderer Bedeutung und steht auch in einem besonderen öffentlichen Fokus.
Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Problemlagen und die Herangehensweisen in den einzelnen Bundesländern. Es gilt, all diese Ansprüche und Erwartungen im Rahmen von Beschlüssen und den sich daran anschließenden weiteren Schritten miteinander in Einklang zu bringen. Dies ist nicht trivial und erweckt möglicherweise bei den Tierhaltern den Eindruck, bislang zu wenig Fortschritt beim Thema Wolf erreicht zu haben. Dafür habe ich Verständnis und dies möchte ich aber natürlich auch ändern.

Sie haben als Umweltminister von Mecklenburg- Vorpommern selbst Anträge zum Umgang mit dem Wolf vorgelegt. Sind die bisherigen Ergebnisse für Sie zufriedenstellend?

Dr. Backhaus: Die Themen, die gerade durch Mecklenburg- Vorpommern in der letzten Zeit in die Diskussion eingebracht wurden, haben einen wichtigen Beitrag auch im Sinne der Tierhalter geleistet. Ich möchte hier nur beispielhaft die Änderung und Konkretisierung des Bundesnaturschutzgesetzes anführen, welches maßgeblich durch Mecklenburg-Vorpommern initiiert und mitgestaltet wurde. Die Festlegung des Schadmaßes, angepasst an die europäischen Festlegungen in der FFH-Richtlinie, und die Berücksichtigung der Hobby- Tierhaltungen bei Entnahmeentscheidungen sind hier insbesondere zu nennen. Als weiterer positiver Punkt ist auch die Öffnung der GAK für Fördermöglichkeiten im Zusammenhang mit dem Wolf zu erwähnen. Auch weitere aktuelle Themen, sei es die Stärkung des Senckenberg Forschungsinstitutes als nationales Referenzlabor, die Erarbeitung eines Praxisleitfadens zur Anwendung des neuen Bundesnaturschutzgesetzes oder die neuerliche Befassung mit dem Thema des günstigen Erhaltungszustandes, wurden durch Mecklenburg-Vorpommern oder mit Unterstützung Mecklenburg-Vorpommerns in die Beratungen auf Ebene der Umweltministerkonferenz eingebracht. Und auch hier möchte ich in diesem Jahr die Prozesse voranbringen.

Vor gut einem Jahr wurde das Bundesnaturschutzgesetz geändert. Damit wurden die Entnahmemöglichkeiten von Wölfen geringfügig erweitert. Woran liegt es, dass wesentliche Auswirkungen bisher ausgeblieben sind?

Dr. Backhaus: Ich denke, dies hat verschiedene Gründe. Man muss sich zum einen vor Augen halten, was im Zusammenhang mit bisherigen Entnahmen passiert ist. Soweit mir bekannt ist, wurde bisher jede Entnahmeentscheidung in Deutschland beklagt. Wenn Ausnahmegenehmigungen bekannt wurden, kam es auch zu Störungen der Entnahme sowie teilweise auch zu Bedrohungen gegenüber Antragstellern und Ausführenden. Dies kann insgesamt bereits eine Hürde für eine Antragstellung darstellen. Durch die besonderen Rahmenbedingungen bedürfen Entscheidungen zur Entnahme einer sehr fundierten Prüfung und Begründung. Und weiter kommt der schwierige Vollzug der Genehmigungen hinzu, da uns der Wolf als ein Spitzenprädator mit seinen Sinnen oft weit voraus ist und darüber hinaus die Gefahr von Fehlabschüssen besteht, da die Ansprache des tatsächlich schadensverursachenden Wolfes oftmals kaum möglich ist.

Insbesondere von Schafhaltern wird beklagt, dass oft zu bürokratisch oder gar kleinkariert auf den erforderlichen Herdenschutzmaßnahmen bestanden wird. Darf eine Entnahme oder eine Entschädigung wirklich daran scheitern, dass an irgendeiner Stelle das Elektronetz 2 cm durchhängt?

Dr. Backhaus: Es gibt in den Ländern klare Definitionen zu Herdenschutzmaßnahmen, oftmals als Grundschutz bezeichnet, welche Voraussetzung für Ausgleichszahlungen sind. Durch den Rissgutachter werden diese Schutzmaßnahmen bei einem Rissvorfall begutachtet und dokumentiert. Dabei geht es in der Regel nicht um die Frage, ob "ein Netz an einer Stelle 2 cm durchhängt", sondern vielmehr darum, ob der Grundschutz in seiner Gesamtheit zur Anwendung gekommen ist. Letzteres ist unser Anspruch auch als Grundvoraussetzung für die Verwendung von Mitteln der öffentlichen Hand. Wir sind angehalten, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln maßvoll umzugehen und müssen die Verwendung nachvollziehbar rechtfertigen können. Dies geschieht jedoch nach meiner Einschätzung mit einem vernünftigen Augenmaß.

Im Zusammenhang mit Entnahmeentscheidungen - für die zusätzlichen Maßstäbe gelten - ist aber auch klar, dass diese Entscheidungen gerichtlichen Überprüfungen standhalten müssen.

Welche Möglichkeiten bestehen aus Ihrer Sicht, hier flexiblere Lösungen zu finden und die örtlichen und betrieblichen Möglichkeiten des Herdenschutzes stärker zu berücksichtigen? Könnte der geplante Handlungsleitfaden zur Auslegung und Umsetzung des Bundesnaturschutzgesetzes (speziell der §§ 45 und 45a) hier Spielraum eröffnen?

Dr. Backhaus: Der Praxisleitfaden soll einen von allen Ländern anerkannten Rahmen für die Anwendung des Bundesnaturschutzgesetztes geben. Die Entscheidung im Zusammenhang mit der Entnahme eines Wolfes wird weiterhin eine Einzelfallentscheidung sein, bei der im Rahmen der Bewertung der zumutbaren Alternativen zur Entnahme auch die örtlichen und betrieblichen Möglichkeiten des Herdenschutzes in die Betrachtung einzubeziehen sind.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft will über die GAK die Förderung von durch den Wolf bedingten investiven und laufenden Kosten unterstützen. Die Maßnahmen sind allerdings bis Ende 2022 befristet. Welchen Anreiz bieten sie dann, damit die Bundesländer diese Möglichkeit nutzen, die ja in jedem Land die Anpassung von Förderrichtlinien erfordern?

Dr. Backhaus: Die Eröffnung von Fördermöglichkeiten für im Zusammenhang mit dem Schutz vor Schäden durch den Wolf entstehende Kosten im Rahmen der GAK ist ein wesentlicher Punkt, um die Unterstützung der Nutztierhalter auf eine noch breitere Basis zu stellen und auch die damit zusammenhängenden finanziellen Lasten auf breitere Schultern zu verteilen. Dies ist ein großer Fortschritt und aus meiner Sicht auch bereits in diesem Stadium ein deutlicher Anreiz, um von diesen Möglichkeiten nun auch Gebrauch zu machen. Ich habe mich - auch zusammen mit anderen Ländern, beispielsweise im Rahmen zurückliegender Umweltministerkonferenzen - immer wieder für diesen Schritt eingesetzt und ausgesprochen. Selbstverständlich werde ich mich auch dafür einsetzen, dass diese Fördermöglichkeiten nun auch verstetigt werden. Nur so können sie nachhaltige Wirkung entfalten.

In Frankreich konzentriert sich das Wolfsaufkommen auf eine bestimmte Region (Département Alpes-de-Haute-Provence). Dort gibt es jährliche Entnahmequoten, die bisher nicht von der EU untersagt wurden. Wäre etwas Vergleichbares auch für den bisher am stärksten in Deutschland betroffenen Korridor (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen) vorstellbar?

Dr. Backhaus: Dies ist ein Thema, welches wir aktuell prüfen. Wir wissen, dass das Vorgehen Frankreichs von der EU-Kommission insgesamt sehr kritisch betrachtet wird. Selbst die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes in Deutschland steht unter besonderer Beobachtung der EU-Kommission. Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, hat die EU-Kommission in diesem Zusammenhang ein Pilotverfahren gegen den Mitgliedsstaat Deutschland eröffnet, in dessen Rahmen eine Überprüfung und Bewertung der in Deutschland aktuell bestehenden rechtlichen Regelungen sowie des auf diesen Regelungen basierenden Vollzuges erfolgt. Die von Frankreich praktizierte Vorgehensweise geht noch einmal deutlich über diesen Status hinaus, was das Spannungsfeld aufzeigt, in dem wir uns hier bewegen. Ich stehe daher hierzu im engen Austausch mit dem Bund, um dieses Vorgehen für Deutschland zu bewerten.

Weiteren Handlungsbedarf sehe ich in diesem Zusammenhang auch bei der konkreten Festlegung der Einzelparameter für die Bewertung und Konkretisierung des günstigen Erhaltungszustandes, weshalb ich auch die weitere Befassung der Umweltministerkonferenz mit diesem Thema initiiert habe.

Wie kann bei den GAK-Maßnahmen oder wolfsbedingten Weidetierprämien sichergestellt werden, dass auch kleinere Tierbestände berücksichtigt werden? Denn oft wird gerade in diesen Betrieben die notwendige Zucht für den Bedarf der Herdenschafhalter sowie die Erhaltung bedrohter Rassen betrieben.

Dr. Backhaus: In den gegenwärtigen Bestimmungen für die GAK-Maßnahmen wurde durchaus bereits versucht, diese Thematik aufzugreifen. So können neben Betriebsinhabern unter bestimmten Bedingungen auch andere Landbewirtschafter gefördert werden. Dies ist dann der Fall, wenn die Haltung der Nutztiere dem Erhalt tiergenetischer Ressourcen, der Sicherstellung der Beweidung im Rahmen der Landschaftspflege oder dem Hochwasser- und Küstenschutz dient. Inwieweit hier noch weitere dringende Aspekte ergänzt werden können, müsste in den künftigen Beratungen mit dem Bund erörtert werden. Unabhängig davon kann ich aber zumindest für Mecklenburg-Vorpommern auch sagen, dass Investitionen für den Schutz auch kleinerer Tierbestände unter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb der GAK-Maßnahme mit Landesmitteln gefördert werden können. Ich möchte eine gekoppelte Zahlung für Schafe, Ziegen und Mutterkühe. Wir haben das gerade in den letzten Stunden verhandelt und ich sehe eine Mehrheit, hoffentlich eine Einstimmigkeit der Agrarministerkonferenz.

Sie selbst sind, ebenso wie weitere Mitglieder der UMK, sowohl Umwelt- als auch Landwirtschaftsminister. Wie lässt sich ein besseres Zusammenwirken von Umweltpolitik (zuständig für den Naturschutz) und Landwirtschaftspolitik (zuständig für die Weidetierhaltung) ermöglichen?

Dr. Backhaus: Dies geht nach meiner Erfahrung nur mit gegenseitiger Akzeptanz und Aufklärung. Hierzu bedarf es auf beiden Seiten eines Austausches zu den Belangen des jeweils anderen, um Sorgen und Nöte zu erkennen und zu verstehen. Im Bereich des Naturschutzes sollte die Akzeptanz dafür bestehen, dass im besonderen Maße schadensverursachende Wölfe entnommen werden müssen. Die Entnahme ist eine Einzelfallentscheidung. Es werden im Vorfeld Alternativen geprüft und die Auswirkungen der Entnahme umfassend bewertet, bevor eine Genehmigung erfolgt. Selbstverständlich sind wir im Rahmen des Wolfsmanagements bemüht, Schäden an Nutztieren auf dem Wege von Präventionsmaßnahmen – als zentralem Element für die Koexistenz von Wolf und Weidetierhaltung vorzubeugen, als ultima ratio muss die Option von Entnahmen aber unmissverständlich anerkannt werden.

Auf der anderen Seite haben wir die Nutztierhaltung. Die Weidetierhaltung ist ein fester Bestandteil der Kulturlandschaft und ein wichtiger Betriebszweig der Agrarwirtschaft. Gerade die Schafhaltung und Weidehaltung von Rindern leistet einen wesentlichen Beitrag zum Natur- und Artenschutz. Aber auch hier ist ein Verständnis für das besondere Schutzgut Wolf wünschenswert, da auch diese Art Bestandteil unserer komplexen Natur ist und unter anderem auch die Fähigkeit zur Akzeptanz solcher Arten eine Gesellschaft ausmacht.

Es gibt zahlreiche gute Beispiele, auch aus anderen Themenfeldern, wie beide Politikfelder miteinander funktionieren können. Die Politik stellt durch Beschlüsse wie bei der Umweltministerkonferenz aber hierfür „nur“ die Weichen. Die Ausfüllung erfolgt durch die gelebte Praxis vieler Akteure. Auf beiden Seiten werbe ich daher für gegenseitige Unterstützung und Verständnis.

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