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Wirtschaftlichkeit in der Schafhaltung

Schafhalter*innen arbeiten unter Mindestlohn

Anlässlich einer Video-Pressekonferenz der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL) am 2. März 2021 wurden die betriebswirtschaftlichen Auswertungen von Schafbetrieben in Deutschland vorgestellt. Demnach lag der Gewinn pro Mutterschaf und Jahr einschließlich der öffentlichen Zuwendungen pro Arbeitsstunde bei ca. 6 Euro und damit unter dem Mindestlohn. Daher ist seitens der Politik eiliger Handlungsbedarf geboten, wenn die Gesellschaft nicht zukünftig auf die unverzichtbaren Leistungen wie Küstenschutz, Landschaftspflege, Biodiversität und darüber hinaus bestes Lebensmittel vom Lamm- und Schafmilch und deren Verarbeitungsprodukte aus der Region verzichten möchte.

Veröffentlicht am
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Schäfer demostrieren 2018 vor dem Landwirtschaftsministerium in Berlin.
Schäfer demostrieren 2018 vor dem Landwirtschaftsministerium in Berlin.Anja Nährig
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Die Studie beweist die wirtschaftlich alarmierende Situation und macht politisches Handeln bei der GAP, beim Herdenschutz und beim Thema Schafwolle erforderlich.

Die VDL ist der Dachverband der Schafzucht- und -halterverbände im Bundesgebiet und betreut die Interessen aller Schafzüchter und -halter*innen auf Bundes- und EU-Ebene. Mit Unterstützung der Landwirtschaftlichen Rentenbank hatte die VDL diese Studie mit wissenschaftlicher Betreuung durch Prof. Stanislaus von Korn, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, durchgeführt. Insgesamt wurden länderübergreifend 730 Betriebserhebungen und damit über betriebswirtschaftliche Zahlen zu ca. 450.000 Mutterschafen aus den Jahren 2013 bis 2019 berücksichtigt.

Ergebnisse der untersuchten Betriebe

Im Durchschnitt

  • lag die Herdengröße bei ca. 600 Tieren,
  • wurden ca. 170 ha bewirtschaftet,
  • lag der Pachtflächenanteil lag bei ca. 88%,
  • wurden etwa 3,6 Mutterschafe pro Hektar gehalten,
  • pendelten sich die Erlöse bei knapp unter 100 €/Mutterschaf und Jahr ein (sie bewegten sich zwischen 70 und  140 €),
  • lagen die Erträge aus der Schafhaltung ohne öffentliche Zuwendungen bei 106 €/Mutterschaf und Jahr,
  • betrugen die öffentlichen Zuwendungen (Geld aus I. und II. Säule) bei 160 €/Mutterschaf und Jahr,
  • lagen die Gesamterlöse mit öffentlichen Zuwendungen bei 270 €/Mutterschaf und Jahr.

Daraus ergibt sich eine Verteilung der Einkünfte mit 40 % auf Erlöse in der Schafhaltung, 30 % öffentliche Zahlungen aus der I. Säule und weitere 30 % Zahlungen aus der II. Säule. Der Gewinn pro Mutterschaf und Jahr einschließlich der öffentlichen Zuwendungen lag pro Arbeitsstunde somit bei ca. 6 € und damit unter
dem Mindestlohn! Prof. von Korn zog folgendes Fazit:

  • Ohne öffentliche Zuwendungen ist aktuell keine existenzfähige Schafhaltung möglich.
  • Der Gewinn liegt im Betriebszweig Schafhaltung im unteren Drittel der Einkommen in der Landwirtschaft.
  • Als Konsequenz wäre statt einer diskutiere Mutterschafprämie von 30 € eine deutlich höhere Zielgröße von 70 € erforderlich, um in der Schafhaltung einen fairen Stundenlohn von 15 € sicherzustellen.

Forderungen der Schafhalter ernst nehmen

Der VDL-Vorsitzende Alfons Gimber, selbst Haupterwerbsschäfer, zeigte im Anschluss die notwendigen Schritte auf, die der Schafhaltung wieder eine bessere Perspektive ermöglichen würde. Die Schafhalter betreuen über die Herdbuchzucht mehr als 60 verschiedene Schafrassen einschließlich der gefährdeten und vom Aussterben
bedrohten Rassen - ein wichtiger Beitrag zur genetischen Vielfalt. Gimber dankte der Landwirtschaftlichen Rentenbank für die Unterstützung, denn sonst wäre diese wichtige Studie gar nicht möglich gewesen.

Wenn man den massiven Rückgang in der Schafhaltung nicht hinnehmen möchte – schließlich ist eine deutliche Überalterung festzustellen, und viele Betriebe benötigen innerhalb der nächsten Jahre einen Hofnachfolger – "müssen unsere Forderungen ernst genommen werden", so der VDL-Vorsitzende. Andernfalls würden die gesellschaftlichen Leistungen der Schafhaltung wie Küstenschutz, Landschaftspflege, Insektenschutz und Erfüllung der FFH-Pflegeaufgaben ebenso verlorengehen wie das Angebot von hochwertigen Nahrungsmitteln wie Lammfleisch, Schafmilch und deren Verarbeitungsprodukten aus der Region.

Tierwohl in der Schafhaltung

In der Schafhaltung müssen keine Millionen ausgegeben werden, um den Tieren wieder mehr Tierwohl zu ermöglichen. Schafe sind ein Großteil des Jahres draußen auf den Weiden und für einen jede*n beobachtbar. Die Billigpreispolitik hat Bereiche der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung in eine Sackgasse geführt, der die heimische Schafhaltung nicht gefolgt ist – leider mit dem Ergebnis, dass deutsches Lammfleisch damit auch höhere Erzeugungskosten verursacht. Während nun für mehr Tierwohl viel Geld ausgegeben wird, müsse dies auch der Schafhaltung, die dies bereits sicherstellt, zugestanden werden, so Alfons Gimber.

Er hofft, dass vor dem Hintergrund der anstehenden sechs Landtagswahlen und der im Herbst stattfindenden
Bundestagswahl, die politisch Verantwortlichen die großen Sorgen der Schafhalter ernst nehmen, und fordert  verlässliche Perspektiven für die Schafhalter*innen. Diese seine wichtig, damit man auch der nächsten Generation den Einstieg in diesen schönen Beruf empfehlen kann.

Wiedereinführung der gekoppelten Tierprämie

Ansatzpunkte für die Verbesserung der derzeitigen Situation seien unter anderem die anstehende Agrarreform, die Koexistenz von Wolf und Weidetierhaltung sowie das Thema Schafwolle, sagte Alfons Gimber. Er fordert, wie es in 22 anderen europäischen Ländern praktiziert wird, die Wiedereinführung der gekoppelten Tierprämie für Schafe und auch für Ziegen. Sie werden in den Betrieben oft mit eingesetzt, weil sie hervorragend geeignet sind, Sträucher kurzzuhalten. Diese Prämie ist als "Top Up" zur Flächenprämie aus der I. Säule notwendig und lässt sich über eine minimale Umschichtung der Flächenprämie von 1 bis 2 % finanzieren.

Diese Weidetierprämie für Schafe und Ziegen wurde in den letzten Monaten wiederholt vom Bundesratsplenum
gefordert und ist für Deutschland nichts Neues, denn sie wurde vor Jahren auch in Deutschland angewandt (bis das damalige Bundeslandwirtschaftsministerium die Mutterschafprämie abschaffte und in die Flächenprämie überführt hatte). Seither sinken die Schafbestände in Deutschland massiv.

Die Vorteile der Weidetierprämie wäre, so Gimber, dass diese Gelder beim Schafhalter verbleiben und nicht wie bei der Flächenprämie über steigende Pachtpreise z.T. an die Flächeneigentümer weitergereicht werden. (Mittlerweile befindet sich  ein hoher Anteil der landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht mehr im Eigentum der Landwirte, und es werden mit der Flächenprämie Begehrlichkeiten bei den Flächeneigentümern geweckt.)

Agrarumweltprogramme aufstocken

Ein weiterer Punkt bei der zukünftigen Agrarreform sind die Agrarumweltprogramme der II. Säue in der GAP, die über die Länder mit finanzieller Beteiligung vom Bund und der EU aufgelegt werden. Diese müssen aufgestockt werden, damit sie einkommenswirksam werden und nicht nur die Produktionseinschränkung ausgleichen.

Nicht gelöst: Koexistenz Wolf und Weidetiere

Ein sehr belastender Punkt sei ferner das nach wie vor nicht gelöste Problem der Koexistenz von Weidetieren und Wolf, kritisierte der VDL-Vorsitzende. Schätzungsweise gebe es weit über 1000 Wölfe im Bundesgebiet. Keiner will eine exakte Anzahl angeben, obwohl mehrere hundert Wolfsbeobachter im Bundesgebiet aktiv sind. Statt von Einzelwölfen spricht man lieber von Wolfspaaren und Wolfsrudeln, um so die Anzahl der Tiere herunterzureden. So werde ein konsequentes Wolfsmanagement verhindert. Bei einem Anstieg der Wolfspopulation von jährlich 30 % pro Jahr müssen jährlich Millionen für Vorsorge und Tierverluste aufgewendet werden.

Gimber betonte: "Wir unterstützen den Herdenschutz, der zu 100 % einschließlich Arbeitszeitaufwand finanziert werden muss. Aber wir können nicht die ganze Republik einzäunen und immer weiter aufrüsten. Da wo der vernünftige und anerkannte Herdenschutz überwunden und einmal Tiere gerissen oder verletzt wurden oder wo
Herdenschutz nicht möglich ist, wie entlang der Küste oder in Bergregionen, muss der Wolf entnommen werden."

Wichtig sei die Erreichung einer Wolfspopulation, die Respekt hat und Abstand von der Bevölkerung und auch von den Weidetieren hält. Alfons Gimber begrüßte die beschlossene Einführung des Herdenschutzkompetenzzentrums, wies jedoch darauf hin, dass hier die Kräfte zum Herdenschutz gebündelt werden müssten: "Hier müssen wir als Weidetierhalter unsere Erfahrungen einbringen können."

Thema Wolle

Abschließend wies Gimber auf das Naturprodukt Schafwolle hin, bei dem für feine Merinowolle gerade einmal 50 Cent pro kg gezahlt werden, was nicht einmal die Schurkosten decke. Wolle sei eine hervorragende Naturfaser. Sie bindet Umweltschadstoffe und ist höchst isolierend. Leider wurde bei der Erarbeitung und
Verabschiedung der Römischen Verträge Schafwolle als landwirtschaftliches Produkt im Anhang nicht mit aufgelistet. Damit ist hier eine Agrarförderung der Europäischen Union bislang nicht möglich und eine Nachbesserung ist zwingend erforderlich, erklärte der VDL-Vorsitzende.

Aktuell geht – wenn überhaupt – die meiste Wolle nach China, anstatt sie in Deutschland als wertvollen Rohstoff zu nutzen. "Warum gelingt es nicht, eine Anschubfinanzierung für eine sinnvolle Verwertung durchzuführen?", fragt Gimber. So könnten mit der Wirtschaft und Industrie sinnvolle Möglichkeiten der Schafwollverwertung im Kreislaufgedanken getestet werden. Z.B. beim Einsatz in Fahrzeugen (Sitzbezüge, Innenverkleidung) oder bei Schutzbekleidung. Viele Länder haben eigene Werbekampagnen für ihre Wolle und stärken damit den Absatz, beispielsweise swisswool.ch oder tirolwool.at.

Hier besteht dringender Handlungsbedarf die deutsche Schafwolle entsprechend zu bewerben und damit den Schafhalter*innen im Bundesgebiet zu helfen.

1 Kommentare
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  • Czerkus 03.03.2021 22:58
    Vielen Dank für die Zusammenstellung unserer großen Probleme aus wirtschaftlicher Sicht, Alfons Gimber. In den letzten Wochen wurde von immer mehr Experten gesagt, dass sie mit einer allgemeinen Kürzung der Agrarfördermittel um bis zu zehn Prozent rechnen. Das bedeutet für viele Schäfereien das Aus. Deshalb müssen wir alle zusammen sehr genau auf die großen und kleinen Schrauben achten, an denen gerade gedreht wird, damit wir als Sektor überleben können. Die Agrarreform bietet einige neue Chancen. Wir müssen mit vereinten Kräften dafür sorgen, dass sie auch in nationales Recht umgesetzt werden. Der Spielraum der Mitgliedsstaaten wächst. Nun müssen wir mehr als bisher von unseren eigenen Politikern die Gestaltung der neuen Regeln nach dem Motto "Schäfereien retten" einfordern. Die hohe Beteiligung der Kollegen an den Leserbriefen zeigt sehr deutlich, wie sehr die Probleme drängen. Das ist ein wichtiger Weg, unsere Anliegen sichtbar zu machen. Vielen Dank auch dafür. Günther Czerkus
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