Glorias Verhalten soll nicht auffällig sein
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In einer Pressemitteilung vom 19. Februar 2021 begrüßt die Verbändeplattform Wölfe und Weidetiere NRW - ein freiwilliger Zusammenschluss von Bioland, dem Bundesverband Berufsschäfer, der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe, dem NABU NRW, dem Schafzuchtverband NRW und Wikiwolves - ausdrücklich, dass das Umweltministerium ein Gutachten bei der DBBW zur erweiterten Bewertung der Rissgeschehen im Raum Schermbeck eingeholt hat. Das Gutachten soll im deutschlandweiten Vergleich aufzeigen, wie das Verhalten der Wölfin GW954f einzustufen ist.
Unterscheidliche Sichtweisen
Das Ergebnis des Gutachtens wird von den einzelnen Verbänden der Plattform jedoch unterschiedlich bewertet. Von Naturschutzseite aus sieht man sich darin bestärkt, dass vorgefundene, unzureichende Herdenschutzmaßnahmen die Übergriffe auf Weidetiere stark erleichtert haben, die Wölfin also nicht verhaltensauffällig ist. Die Weidetierhalter verweisen darauf, dass dennoch von der Wölfin unstrittig eine permanente Gefahr für die Weidetiere ausgeht. Einig sind sich die Verbände wiederum darin, dass diese Gefährdung unbedingt abgewehrt werden muss.
„Wir müssen uns auf das konzentrieren, was bei einer guten Koexistenz von Wolf und Weidewirtschaft entscheidend ist, einen konsequent und effektiv umgesetzten Herdenschutz. Und zwar überall da, wo es Wölfe gibt“, erklärt Christian Chwallek, stellvertretender Vorsitzender des NABU NRW. Denn Wölfe lernen schnell. Seien Weidetiere keine leichte Beute mehr, wenden sie sich auch wieder stärker den Wildtieren zu.
Zumutbare Herdenschutzmaßnahmen finanzieren
Dazu müssen dringend die zumutbaren Herdenschutzmaßnahmen getroffen und finanziert werden. „Die Beratung insbesondere der Kleinsthalter sollte flächendeckend intensiviert werden.“, meint Nicole Kronauer von der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V.
Auch herrscht unter den Verbänden Einstimmigkeit darüber, dass Wölfe, die die „rote Linie“ überschritten haben, entnommen werden sollen, wenn zumutbare, sanftere Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Diese Meinung teilen auch die Behörden, denn sie entspricht den aktuellen rechtlichen Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG).
Sie ist eine Gefahr für die Weidetiere
„Warum diese Wölfin Weidetiere regelmäßig auf ihren Speiseplan genommen hat, ist inzwischen unerheblich. Von ihr geht völlig unstrittig eine Gefahr für die Weidetiere aus. Die gilt es abzuwenden. Das ist auch die entscheidende Rechtsgrundlage für eine Entnahme,“ so Günther Czerkus, Vorsitzender des Bundesverbandes Berufsschäfer. Ob eine solche rote Linie hier nicht überschritten wurde, sei nach wie vor strittig, meint auch der Schafzuchtverband NRW. Zwar gebe es generell die Möglichkeit auffällige oder als problematisch eingestufte Wölfe nach §45 des Bundesnaturschutzgesetzes zu entnehmen, doch würden die bereits bestehenden und bekannten Kriterien von den unterschiedlichen Interessengruppen ebenso unterschiedlich interpretiert.
Handlungsleitfaden ist wichtig
Diese Kriterien zu konkretisieren sei aus Sicht der Verbändeplattform aber der dringende nächste Schritt. Derzeit wird im Auftrag und für die nächste Umwelt- und Agrarministerkonferenz von einer Bund-Länderarbeitsgruppe ein konkretisierender Handlungsleitfaden zu §45 des BNatschG erarbeitet– die Gelegenheit, konkrete Entnahmekriterien für auffällige Wölfe festzulegen, um die Interpretationsspielräume und damit die Ursache für Bewertungsunterschiede weiter einzuschränken.
Die Plattform fordert das Umweltministerium auf, eine Gesprächsrunde zu installieren, die in solchen noch strittigen Fragen den Behörden und entsprechenden Runden Tischen zuarbeitet. Im Interesse der Allgemeinheit, zum Wohle der Weidetiere wie auch in letzter Konsequenz für die Akzeptanz der Wölfe in der Gesellschaft sollten Konflikte um den Rückkehrer Wolf zügig mit allen Betroffenen gemeinsam gelöst werden.
Die Verbändeplattform
Die Verbändeplattform Wölfe und Weidetiere NRW ist ein Zusammenschluss von Bioland, dem Bundesverband Berufsschäfer, der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe, dem NABU NRW, dem Schafzuchtverband NRW und Wikiwolves. Seit 2016 dient dieser freiwillige Arbeitskreis zwischen Schäfern, Landwirten, Natur- und Artenschützern dem gemeinsamen Austausch. Er will unter anderem das gegenseitige Verständnis fördern, aber auch konkrete Lösungen erarbeiten, um den Konflikt Wolf und Weidetiere zu entschärfen und so letztendlich die Akzeptanz für den Wolf zu steigern.
RLV enttäuscht
Mit Enttäuschung reagiert der Rheinische Landwirtschafts-Verband (RLV) auf die Ergebnisse des vom NRW-Umweltministerium zum Thema Wolf bei der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes (DBBW) in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Bewertung der Nutztierrisse im Wolfsgebiet Schermbeck.
Nach Angaben des Ministeriums kam es seit 2018 zu 56 Vorfällen mit insgesamt 111 getöteten Weidetieren - mit wenigen Ausnahmen konnten die Übergriffe der zugewanderten Wölfin zugeordnet werden. In mindestens vier Fällen wurde dabei ein selbst nach den Empfehlungen des Bundes ausreichender Herdenschutz überwunden. Dennoch kommt das Gutachten zu der Einschätzung, dass eine Entnahme des betreffenden Wolfs zurzeit nicht in Betracht zu ziehen sei und empfiehlt eine konsequente Anwendung des empfohlenen Herdenschutzes.
Nach Auffassung des RLV schiebt die DBBW damit nicht zu ersten Mal die Verantwortung für Wolfsrisse allein den Weidetierhaltern zu, indem deren Schutzbemühungen als unzulänglich beschrieben werden. Bereits im vergangenen Jahr war an der Darstellung der Risssituation im Rahmen des bundesweiten DBBW-Schadensberichtes Kritik geübt worden. Während die Wölfe in den anderen Wolfsgebieten Nordrhein-Westfalens aktuell kaum in Erscheinung treten, eskaliert die Situation am Niederrhein – inzwischen wurden sogar zwei Ponys gerissen. Die unterschiedliche Situation ist nach Auffassung des RLV einzig auf die dort lebenden Wolfsindividuen zurückzuführen.
Aufstallung keine Option
Mit der Empfehlung der DBBW, trotz Überwinden von Schutzzäunen eine Entnahme nicht zu veranlassen, stellt sich für den RLV die Frage, unter welchen Bedingungen eine Entnahme überhaupt möglich sein soll. Ein ständiges „Aufrüsten“ bei den Schutzmaßnahmen kann aus Sicht des Verbandes keine Lösung sein. Insbesondere Herdenschutzhunde seien nicht für jedermann geeignet.
Als Offenbarungseid wertet der RLV zudem Empfehlungen von Seiten des organisierten Naturschutzes, Weidetiere während der Nachtzeit aufzustallen – es käme damit wie befürchtet: Der Wolf treibt die Tiere in den Stall. Die Förderung von Präventionsmaßnahmen und eine schnelle Entnahme von Wölfen, die trotz Schutzmaßnahmen Weidetiere angreifen oder reißen, müssen vielmehr „zwei Seiten einer Medaille“ sein. Unterbleiben hier Konsequenzen, wird die Akzeptanz für den Wolf am Niederrhein weiter schwinden.
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