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Auswirkungen des Brexit

Wird die gemeinsame Agrarpolitik beeinträchtigt?

Die Folgen des geplanten Brexit sind bisher sowohl für die Europäische Union als auch für die Briten kaum seriös abzuschätzen. Nachdem die Londoner Regierung am vergangenen Mittwoch (29.3.) offiziell die Austrittserklärung an EU-Ratspräsident Donald Tusk durch ihren Ständigen Vertreter bei der EU, Tim Barrow, überreichen ließ, sind von nun an genau zwei Jahre Zeit, den Austritt der Briten aus der Staatengemeinschaft zu verhandeln. Ein Knackpunkt für die EU betrifft insbesondere die vergemeinschaftete Agrarpolitik.
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Das Vereinigte Königreich hat laut Angaben der Brüsseler Kommission in den Jahren 2010 bis 2013 im Mittel jeweils fast 7,2 Mrd Euro netto an die Gemeinschaft überwiesen. Da der EU-Agrarhaushalt etwa 38 % des gesamten Budgets der Union ausmache, könne davon ausgegangen werden, dass die Finanzierung insbesondere der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020 deutlich unter Druck stehen werde, erklärte EU-Agrarkommissar Phil Hogan am Dienstag vergangener Woche (28.3.) in Brüssel. Der Zugang beider Parteien zu dem jeweils anderen Markt werde von entscheidender Bedeutung für weiterhin eng verflochtene Wirtschaftsbeziehungen unter anderem im Agrarsektor sein, führte der Ire aus. Ein schwerer Brocken aus Sicht Großbritanniens ist die Forderung der EU-Kommission an London, eine Einmalzahlung von etwa 60 Mrd Euro zu leisten. Diese Rechnung Brüssels setzt sich aus längerfristigen Verpflichtungen der Briten, etwa Pensionszahlungen an britische EU-Angestellte oder an Zahlungszusagen für die Strukturfonds zusammen.

Als Weckruf verstehen
Diskutiert wird insbesondere von britischer Seite, dass parallel zu den Austrittverhandlungen in den nächsten zwei Jahren ein Handelsabkommen zwischen beiden Seiten abgeschlossen werden sollte. Dies lehnen allerdings führende Vertreter der EU ab, darunter Ratspräsident Tusk. Nach ihrem Willen sollen zunächst die Bedingungen des Verlassens der Briten verhandelt und dann erst über neue Vereinbarungen, etwa zur Handelspolitik, gesprochen werden. Auch der EVP-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament und CSU-Politiker Manfred Weber drängt darauf, dass erst einmal die „Scheidung“ geregelt wird. Sein Parteikollege, Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt verwies indes auf die engen Handelsbeziehungen insbesondere im Agrarbereich zwischen Deutschland und Großbritannien. Daher hätten beide Seiten ein starkes Interesse daran, dass der Handel weitergehe, erklärte der Minister. Zudem betonte er, den Brexit als „Weckruf“ für die EU-Agrarpolitik zu verstehen. Viele Förderregelungen sollten weniger „kleinteilig“, aber dafür „pauschaler“ gestaltet werden. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Gianni Pitella, mahnte, Lösungen für einen gemeinsamen Binnenmarkt auch nach dem Brexit zu schaffen. Allerdings müssten unter anderem die Verbraucherschutzstandards der EU-27 vollumfänglich von den Briten anerkannt werden.

Brexit darf GAP nicht beeinträchtigen
EVP-Agrarsprecher Albert Deß wies darauf hin, dass die Mehrheit der Abgeordneten im Landwirtschaftsausschuss darauf poche, dass die Weiterentwicklung der GAP und deren grundlegenden Ziele durch den britischen Rückzug nicht beeinträchtigt werden dürften. Der EU-Agrarhaushalt müsse auch in Zukunft über ein „angemessenes“ Finanzierungsniveau verfügen. Zudem sei ein ordnungsgemäßer Abbau der GAP im Vereinigten Königreich notwendig, erklärte Deß. Er forderte die Kommission auf, die Auswirkungen des Brexits auf die Handelsbeziehungen der EU-27 mit dem Rest der Welt sorgfältig zu überprüfen und diese weiterzuentwickeln. Der agrarpolitische Sprecher der Sozialdemokraten im Europaparlament, Éric Andrieu, betonte, es sei sicherzustellen, dass die Briten nicht mit unlauteren Wettbewerbsmethoden die Position ihrer Nahrungsmittelerzeuger gegenüber denen in der EU-27 zu stärken versuchten. Daher müsse auch der neue Status des Vereinigten Königreichs in der Welthandelsorganisation (WTO) antizipiert werden, so der Franzose. Die Agrarsprecherin der Liberalen im Parlament, Ulrike Müller, warnte, das Vereinigte Königreich dürfe nicht zu einer Plattform zur Umgehung des EU-Außenschutzes werden. Zudem müsse auf jeden Fall verhindert werden, dass die Briten zusätzliche Verträge mit einzelnen Mitgliedstaaten der EU-27 abschlössen, erklärte die Abgeordnete der Freien Wähler gegenüber AGRA-EUROPE.

Furcht vor EU-Zöllen
Der agrarpolitische Sprecher der ECR-Fraktion, der Brite John Nicholson, sprach sich gegenüber AGRA-EUROPE gegen ein Ende der Austrittsverhandlungen ohne Handelsübereinkunft aus. Das wäre eine „Katastrophe“ und die denkbar schlechteste aller Optionen, so Nicholson. So würde ein Handel ausschließlich gemäß den Regeln der WTO zu starken Beschränkungen etwa durch neue Zölle und Handelsquoten führen. Die Standardzölle der EU lägen beispielsweise für Milch, Käse und Lammfleisch zwischen 40 % und 50 %. Besonders problematisch sei der Brexit insbesondere für den Agrarsektor zwischen Irland und Nordirland, erklärte der Brite. So würden unter anderem 40 % der Schafe aus Nordirland in Irland geschlachtet und weiterverarbeitet, und etwa 30 % der Schweine aus Irland würden in Nordirland zerlegt. Auch gebe es rege Handelsbeziehungen im Milchsektor. Als weniger problematisch stuft die englische Europaabgeordnete und Agrarpolitikerin Anthea McIntyre den Austritt der Briten ein. Ein gutes neues Abkommen nach dem Brexit werde zu einer „Win-Win-Situation“ für beide Seiten. Allerdings müssten die EU-27-Länder in Zukunft mit weniger Geld zurechtkommen, räumte McIntyre gegenüber AGRA-EUROPE ein.

Kaum zu bewältigendes Arbeitsprogramm
Der Europaparlamentarier Dr. Peter Jahr forderte, dass der Agrarhaushalt als Folge des Brexits nicht stärker gekürzt werden dürfe als andere Etats der EU. Der CDU-Agrarpolitiker bedauerte, dass die EU gerade in Zeiten der Globalisierung durch den Wegfall eines ihrer Mitglieder als starker Verhandlungspartner, etwa bei Handelsabkommen, geschwächt werde. Für die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl ist neben eines guten bilateralen Handelsabkommens insbesondere die Anerkennung der mehr als 1 150 geschützten geografischen Angaben (g.g.A.) besonders wichtig. Die aktuell herrschende Unsicherheit müsse schnellstens beseitigt werden, mahnte die SPD-Politikerin. Gegenüber AGRA-EUROPE sprach der grüne EU-Agrarpolitiker Martin Häusling indes von einem kaum zu bewältigenden Arbeitsprogramm in den Verhandlungen der nächsten zwei Jahre. Allein die Gespräche zum Freihandelsabkommen der EU mit Kanada hätten acht Jahre gedauert. Deshalb erwarte er große Schwierigkeiten, erklärte Häusling.

Agrarbusiness eng miteinander verflochten
Großbritannien importierte laut Angaben der Kommission im Jahr 2015 Agrarprodukte für 57 Mrd Euro aus der EU. Das waren 90 % der gesamten britischen Agrareinfuhren. Des Weiteren wurden 60 % der britischen Agrarexporte, darunter vor allem Rind-, Lamm- und Geflügelfleisch sowie Getreide, im Wert von 11 Mrd £ (12,7 Mrd Euro) in die EU verkauft. Zu den größten Handelspartnern des Vereinigten Königreichs gehören unter den EU-27-Staaten Frankreich, die Niederlande, Irland, Deutschland und Spanien. Gehandelt werden vor allem Fleisch, Käse, Obst und Gemüse sowie Getränke. Eine besonders enge Verflechtung besteht indes mit Dänemark, insbesondere mit der dortigen Molkerei- und Fleischwirtschaft. Der dänische Molkereikonzern Arla Foods erwirtschaftete zuletzt etwa ein Viertel seines Gesamtumsatzes im Vereinigten Königreich, wie dessen Direktor für globale Handelspolitik, Kasper Thormod Nielsen, im Gespräch mit AGRA-EUROPE berichtete.

Verpflichtungen einhalten
Der Generalsekretär der EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA), Pekka Pesonen, warnte vor Handelsbeschränkungen und negativen Auswirkungen für den EU-Agrarhaushalt. COPA und COGECA erwarteten von der britischen Regierung, dass sie ihre Verpflichtungen im aktuellen EU-Haushaltsrahmen einhalte und auch weiterhin zu den Programmen stehe, zu denen sie sich verpflichtet habe und die über 2020 hinausgingen, betonte Pesonen. Nach Angaben des Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, stammen aktuell etwa 10 % der britischen Agrar- und Lebensmittelimporte aus Deutschland. Dies ergebe einen deutschen Handelsüberschuss von Agrarprodukten von jährlich 3,4 Mrd Euro. Deshalb müsse die EU den Marktzugang zum Vereinigten Königreich so offen wie möglich halten, verlangte auch Rukwied. Diese Forderung erhoben zudem die EU-Dachverbände des Getreide- und Futtermittelhandels (COCERAL) sowie der Mischfutterindustrie (FEFAC). Das Thünen-Institut (TI) verwies auf eine von ihm erstellte Marktanalyse, wonach bei einem „Extremszenario“, bei dem sich beide Seiten bei den Zollschranken wie gegenüber anderen WTO-Mitgliedern verhielten, der deutsche Agrarhandelsüberschuss um rund 700 Mio Euro sinken würde. Am stärksten betroffen wären die Schweine- und Geflügelfleisch- sowie die Milchwirtschaft. Durch den Rückgang des Handels würden die Produktionswerte für Schweine- und Geflügelfleisch um mehr als 2 % und für Milcherzeugnisse um gut 1 % abnehmen.

Umrechnungskurs: 1 £ = 1,1574 Euro



 

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